The Times, September 11 2009
The Times Artikel, 11 September 2009
Ben Hoyle spricht mit dem Mann, der Ben Hur, Gladiatoren und zwanzig Wagenladungen Sand in die O2-Arena bringt.
Der aus München stammende Filmregisseur Werner Herzog sagte einmal, die Menschen in Bayern seien anders. Und er muss es wissen.
Wegen einer verlorenen Wette verspeiste er vor laufender Kamera einen Schuh. Er schleppte einen 320 Tonnen schweren Raddampfer über einen Berg im peruanischen Dschungel und bedrohte seinen Lieblingsschauspieler mit einem geladenen Gewehr. Doch für ihn war König Ludwig II., dessen Märchenschloss Neuschwanstein das bedeutendste Touristenaushängeschild Deutschlands wurde, der phantasiereichste Bayer.
Allerdings hat Herzog nie Franz Abraham kennengelernt. Und nächsten Donnerstag entscheidet sich in London mit der Weltpremiere von Ben Hur Live die Karriere Abrahams, der den Vergleich mit diesen exzentrischen Visionären nicht zu scheuen braucht.
Subtil ist diese von Liebe, Rache und Jesus triefende Geschichte eines jüdischen Fürsten aus dem ersten Jahrhundert nicht, der als Sklave auf die Galeere geschickt wird und als triumphierender Wagenlenker zurückkommt – zwei für die Bühnendarstellung äußerst ungeeignete Aktivitäten.
Ben Hur lieferte bereits die Vorlage für das ultimative Hollywoodepos von 1959 mit Charlton Heston, der 11 Oscars abräumte und MGM vor dem Bankrott bewahrte. Der ursprüngliche Roman stammt von Lew Wallace, einem amerikanischen Bürgerkriegsgeneral, und war bis zum Erscheinen von Vom Winde verweht das meistverkaufte Buch.
Abraham, 45, ist überzeugt, dass die O2-Arena Zeugin der Geburt einer weiteren gigantischen Erfolgsgeschichte werden wird. Seiner Meinung nach wird Ben Hur Live ein „Phänomen“, das fünfzig Jahre überdauern wird – aber er weiß, dass der Erfolg mit der Rezeption der Premiere steht und fällt. Auf die Bitte Abrahams hin werden am Mittwoch ein Rabbi, ein russischer orthodoxer Priester und ein katholischer Priester die Arena segnen. Er kann jede Hilfe brauchen, die er bekommt.
Sein Ben Hur, den er auch mal nebenbei eine „Oper für Gott“ nennt, wird als Schwert-und-Sandalen-Spektakel mit Musik, Gladiatoren, Akrobaten, einer Seeschlacht, der Kreuzigung, eine Orgienszene und dem spannendsten Pferdewagenrennen seit dem Untergang Roms angepriesen. Abraham ist der Schöpfer dieser Produktion, der Kanzeldonnerer und Finanzier: wahrscheinlich der einzige, der das fragile Netzwerk aus Krediten und Verträgen versteht, das, wie er hofft, die 22 Millionen Euro abdeckt, die die Tour bis Weihnachten verschlingt.
Allein die Kosten für sein riesiges Aufgebot an Schauspielern, Tänzern, Akrobaten, Stuntmen und Technikern beläuft sich auf Tausende von Euros pro Tag. Ganz zu schweigen von dem Aufgebot an Tieren, das 46 Pferde umfasst, zwei Adler und 120 Tauben (einschließlich zwanzig Tauben, die noch dressiert werden). Und für den Transport des Sandes, der den Arenaboden bedeckt, werden zwanzig Lastwägen benötigt.
Philip William McKinley, der Regisseur, meint, die meisten Produzenten würden niemals auch nur einen Gedanken an ein derartiges Unterfangen verschwenden. Das Risiko ist enorm – es gibt keinen großen Investor und Abraham hat Millionen Schulden. Aber wenn er es schafft, könnte Ben Hur Live die Grenzen der Live-Unterhaltung neu definieren.
„Franz ist ein verrücktes Genie. Was er hier versucht, entspricht der Nacktbesteigung des Mount Everest“, meint sein englischer Choreograph Liam Steel. Der Mann, sagt er, „ist nicht normal. Auf eine sehr positive Weise.“
Allen anderen fallen dazu mehr oder weniger sofort noch extremere Worte ein.
Ich finde Abraham im Inneren der König-Pilsener Arena in Oberhausen, einer gesichtslosen Industriestadt nahe Düsseldorf, wo diesen Monat die Generalproben begannen. Er ist eine beeindruckende Erscheinung: kräftig gebaut, mit furchterregenden Augenbrauen, wilden Locken und einem theatralischen Gang. Er spricht wunderbar lebhaftes Englisch, mit einem großen Wortschatz und einer kühnen Missachtung grammatikalischer Regeln.
Er nimmt kein Blatt vor den Mund: Andrew Lloyd Webber respektiert er zwar, aber dessen Musicals findet er „ästhetisch inakzeptabel.“ Er legt die Stirn pantomimisch in Falten und gesteht, zehn Minuten, nachdem er von Michael Jacksons Tod erfuhr, eine Email an die O2-Arena geschickt zu haben mit der Frage, ob er dessen Januartermine haben könne. (Konnte er.)
Er ist ein Mann mit guten, ja altmodischen Manieren: großzügig, charmant, mit einem Hang zum Überschwang, neugierig, witzig und schon fast übertrieben höflich. Sein Team und seine Kollegen lieben ihn für seine Exzentrizität und seine Führungsqualitäten. Meistens ist Abraham eine phantastische Gesellschaft. Aber „ein-, zweimal am Tag“, erklärt einer seiner obersten Mitarbeiter, „flippt Franz aus.“
DIE TIERBESETZUNG UMFASST 46 PFERDE UND 120 TAUBEN (EINSCHLIESSLICH 20 ZWEITBESETZUNGEN)
Wenn das der Fall ist, sieht man, wie die Wut langsam von seinen Zehen aufsteigt. Er ballt die Fäuste, zieht eine Grimasse und sinkt laut brüllend zu Boden wie Basil Fawlty.
Er verbietet Leuten monatelang, ihn anzusprechen. Es ist nicht lange her, erzählt er, da sei er in einen Raum gestürzt, in dem einer seiner IT-Leute saß. „Ich hab mit 120 Dezibel Lautstärke gebrüllt und ein Buchregal auf ihn geschubst, weil er zum vierten Mal….“. Glücklicherweise beruhigt er sich auch wieder schnell.
Das ganze Projekt riecht nach Wahnsinn. Wallace´ Roman Ben Hur – Eine Erzählung aus der Zeit Christi ist 129 Jahre alt. Der Charlton-Heston-Film wurde vor 50 Jahren gedreht. Ben Hur ist nicht gerade „top of mind“, wie mir der frühere Marketingchef der Show, kurz bevor er gefeuert wurde, anvertraute. Berühmte Namen, die mit Abrahams Show in Verbindung gebracht wurden – Umberto Eco, Martin Scorsese, Robert Redford und Daniel Radcliffe – materialisierten sich nie. Der Dialog ist in Latein und Aramäisch und die Logistik der Produktion ist ehrfurchtgebietend.
Backstage finde ich Abrahams Frau, Gundel. Sie sagt von sich, sie sei sein „ästhetisches Auge“. Ihre drei Töchter, 11, 13 und 17, sind ebenfalls dabei und helfen nach ihren täglichen Privatstunden in Tennis, Mythologie, Englisch, Mathematik und dem Koran-, Talmud sowie Klavierunterricht mit den Requisiten und bei Putzarbeiten. Gundel hält sich in gespielter Verzweiflung die Hände an den Kopf, als ich fragte, was sie anfangs über Ben Hur Live dachte. „Ich hab keine Wahl“, seufzt sie und grinst. „Aber langweilig ist mein Leben nicht … no risk, no fun!“
Vier Monate zuvor hatte ich sie in ihrem Schlösschen in Mörlbach besucht, einem kleinen Dorf in der Nähe von München, in dem nach Abraham „130 Erwachsene, 53 Kinder und 27 Hunde“ leben. Sie kauften sich dieses Schlösschen vor acht Jahren „mit einer Ben-Hur-Einstellung und einem riesigen Kredit.“ Es hat 30 Zimmer, Türmchen und einen eigenen Teich. In einem Gang kamen wir an einem Poster von einem David-Hasselhof-Konzert vorbei. „Normalerweise hängt das auf der Toilette“, sagt Abraham und wirkt etwas geschmerzt. „Das ist kein richtiger Künstler.“
Sein Büro war mit Diagrammen und Checklisten übersät, die Überschriften trugen wie Zielgruppen und wie man an sie rankommt. Dabei ging es dann um Ideen, wie man Großeltern, Vogelfreunde und Juden erreicht. Wir sprachen kurz über die Orgienszene. Anscheinend wurden die Tänzer „weniger nach ihren tänzerischen Fähigkeiten als nach ihren körperlichen Vorzügen ausgesucht.“
Abraham wuchs als Kind der Mittelschicht auf, er war aufgeweckt und „keineswegs nur ein- oder zweidimensional“, aber es fehlte ihm an Charisma. „In der Pubertät hatte ich Komplexe und Probleme“, erklärte er. „Eine Freundin hatte ich erst sehr spät.“ Ben Hur war der erste Film, den er im Kino sah. Im Jahr darauf, 1977, kam sein Vater, ein erfolgreicher Alfa-Romeo-Autohändler und Hobbyrennfahrer, bei einem Rennunfall in seinem Porsche Carrera RSR in Hockenheim ums Leben. Abraham, der als 13-jähriger an der Rennbahn war, sagt, es sei Sabotage gewesen. Er wurde selbst ein besessener Motorsportler, hatte aber mit 22 Jahren auf der Autobahn einen Unfall, der jegliche Chance auf eine Formel-1-Karriere zunichte machte.
Er schlug einen neuen Kurs ein und begann Shows mit großen internationalen Stars wie David Bowie, Plácido Domingo und den Rolling Stones zu organisieren. Später stellte er eigene Events auf die Bühne, indem er den Markt mit so absurd klingenden Arenaspektakeln wie Aida – Monumental Opera on Fire und Dracula – Fantasy Musical aufrollte. Seine Produktion von Carmina Burana, inklusive „erotischer Szenen mit nackten Mädchen, die eine Orgie andeuten“, wie er erzählt, hat weltweit mehr als eine Million zahlende Zuschauer angelockt.
Aber nichts reicht an den Kitzel der Autorennen heran – bisher. „Psychologisch gesehen war alles, was danach kam, die Suche nach einem Ersatz“, sagt Abraham. „Ich glaube, mein Einsatz für Ben Hur rührt letztlich her von meiner Leidenschaft für das Rennen.“ Und die Zukunft? Er träumt von einer Arenaversion von Spartacus, seinem Lieblingsfilm, einer Christusshow und „etwas mit Indianern“ in einem riesigen Tipi.
Soweit scheint alles auf Kurs zu sein. In der Oberhausener Arena fällt ein furchtloser Tscheche vornüber vom Wagen und wird auf dem Bauch liegend in vollem Galopp durch die halbe Arena geschleift, wobei er die ganze Zeit über die Pferde lenkt. Im Barbereich schoss ein mobiler Sweatshop aus dem Boden, in dem Dutzende von Frauen über Nähmaschinen gebeugt versuchen, die aus Amerika geschickten Kostüme zu retten (Abraham hatte sie als „Scheiße“ bezeichnet). Daneben hält eine Gruppe Stuntmen ein Meeting in vier Sprachen ab und weiter hinten stehen Biergartentische voll beladen mit Wurstplatten, Salaten, Eintöpfen und eingelegtem Gemüse. Der Kartenvorkauf läuft gut (bis jetzt wurden 130.000 Tickets verkauft), doch Abraham ist noch immer „enttäuscht“.
Der Cash flow stellt ein ernstes Problem dar. „Uns fehlen knapp 1,5 Millionen Euro“, erklärt er. „Momentan ist noch nicht einmal klar, ob wir London schaffen.“ Am nächsten Tag muss er 95.000 Euro auftreiben, um drei Hotels, das Catering und das russische Team zu zahlen, die ihm mit Streik drohen. (Als ich ihn ein paar Tage später anrufe, erzählt er, dass er 60.000 Euro über Nacht auftrieb und am nächsten Tag auf dem Tennisplatz eine Zusage über 10.000 Euro bekam. Für den Rest erreicht er „einen Aufschub“.) Die Schuld sieht er in der Finanzkrise und der unentschuldbaren Feigheit der jungen Reichen, „dieses langweiligen, angstbesessenen, unkreativen, phantasielosen reichen Gesocks, das nicht bereit war, mir einen beschissenen Pfennig von dem Geld zu geben, das es von seinen Eltern geerbt hat.“
Jeden Tag geht es ständig darum, über das Telefon Geld zu finden, sich Gefälligkeiten zu versichern und Kredit zu beschaffen. Es trägt nicht gerade zur Beruhigung bei, wenn er erzählt, er habe Finanzkonstruktionen erfunden, die es so noch nie gab. Er hat schon andere Beinahe-Katastrophen überlebt. In den neunziger Jahren stand er zweimal kurz vor der Pleite und Anfang der 2000er Jahre kannte er drei Jahre lang nur Krisen „und hatte keinen einzigen glücklichen Augenblick.“ Am Tiefpunkt wurde er durch ein „Wunder“ gerettet, dass seinen katholischen Glauben bestärkte. Das Wunder hatte mit einer großen Geldsumme zu tun, die genau dann auf seinem Konto auftauchte, als er sie am nötigsten brauchte. Die Details will er in seinem Buch schildern, das er seit 1996 plant und das 2017 erscheinen soll.
Das Ben Hur Live von 2009 wird ganz anders aussehen als die ursprüngliche Idee 1993. „Damals sprach ich nicht von einer Oper für Gott“, meint er. Sieht er es denn jetzt so – als ein Missionsprojekt? „Ja, ich denke schon.“ Aber ist die Welt bereit für Ben Hur Live? „95 Prozent der Menschen haben keinen Geschmack“, erklärt er. „Sie orientieren sich nur daran, was cool ist. Ich hoffe, wir kommen an einen Punkt, wo das hier ein Must für die Meinungsführer und die Massen wird. Der Ticketverkauf wird explodieren – oder auch nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit für `oder auch nicht´ beträgt meiner Meinung nach 0,0001 Prozent.“